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Konstanz 09.08.2011

Improvisationen wie komponiert

Ein außergewöhnlicher Münster-Orgelabend mit Wolfgang Seifen im Konstanzer Münster.

Das war ein ganz ungewöhnlicher Orgelabend an der Münsterorgel: Französische Barocksuite – barockes deutsches Choralvorspiel – romantische Orgelsymphonie – Triptychon im modernen Kolossalstil. Ungewöhnlich? Ja! Denn alle oben genannten Werke waren Improvisationen im Stil angegebener Epochen, ein Spiel à la „Original und Fälschung“ mit perfekt beherrschtem Stilwissen und Können des Organisten und Improvisators Wolfgang Seifen aus Berlin. Und der interessierte Konzertbesucher durfte mitbestimmen und bei Betreten des Münsters Liedvorschläge einreichen.

Der Einstieg mit französischer Barocksuite klang noch nach heiterer, verzierter und kolorierter Tanzfeinheit mit dorischem Sujet und Zwei-Stufen-Dynamik. Mit Choralvorspielen, die aus Bachs „Orgelbüchlein“ entnommen sein könnten (ein Studienwerk für angehende Organisten) begann das Staunen, wie frappierend stilkundig der Künstler mit den ihm gegebenen Liedern umging: „Freu dich, du Himmelskönigin“ (Konstanz, um 1600) und „Eine große Stadt entsteht“ (J.A. Saladin, 1972) wurden mit Ornamentalstimmen versehen, kontrapunktisch verwoben, kamen fließend und so selbstverständlich daher, als wären sie aus einer Bach-Kantaten-Arie transkribiert.

Die „Symphonische Fantasie mit Fuge“ im romantischen Stil legte dem Improvisator schon weniger Fesseln an: Da galt es, die Majestät romantischer Großsymphonien herauszuholen, und das ging auf die zahlreichen Hörer hernieder mit aller gebotenen Tonmacht, gepaart mit unglaublich virtuoser Beherrschung von Spiel- und Registrierkünsten. Es riss einen hin und her zwischen Liszt, Wagner, Reger, César Franck oder Widor, war aber eben doch original Wolfgang Seifen, der das ihm gegebene Konstanzer Konradslied „Wir bitten dich, o Schutzpatron“ großflächig hymnisch dramatisierte und schließlich in der konzertanten Fuge über die Schlusszeile „St. Konrad, bitt' für uns“ ein pompöses Finale setzte.
Virtuose zieht alle Register
Dem Großwerk ließ Seifen noch ein Größt-Werk folgen: Ein Triptychon im Stil des 20. Jahrhunderts fasste alle denkbaren Orgelmöglichkeiten breit ausladend und teilweise in ans Elektronische erinnernder Klangmixtur zusammen, wobei es auch darum ging, übergroße Vorbilder geschickt zu umgehen: Luthers „Ein feste Burg“ (Max Reger) und Regers und Liszts BACH-Fantasien: Dem setzte Seifen neue Ideen entgegen, fasste die berühmten – eigentlich evangelischen – Themen in waberndem Flirren, makabrem Knochentanz, Dauerrasen und Maximalwucht in komplizierter Doppelfuge zusammen, ließ letztlich aber dann doch noch das Reichenauer „Salve Regina“ über die „Evangelischen“ triumphieren.

Standing Ovations heißt im Münster auch, dass man den grandiosen „Verwandlungskünstler“ dieses Orgel-abends auch sehen wollte. Die Zugabe ließ zunächst schmunzeln: Brahms' „Guten Abend, gut' Nacht“ wurde dann aber nicht nur nettes Betthupferl, sondern ausgewachsenes Variationswerk mit kontrapunktischen Ansprüchen.

 

Konzert 08.04.08 in Neustadt